Georg Pitschmann
Lebenslauf des Bruder Georg Pitschmann, der am 19. Mai 1789 in Bethlehem selig entschlafen.
Unser seliger Bruder Georg Pitschmann hat einen ausführlichen schriftlichen Lebenslauf hinterlassen, wovon folgendes das Merkwürdigste ist:
Ich bin geboren den 8. Mai 1714 zu Großschönau bei Zittau in der Oberlausitz. Mein Vater war Adam Pitschmann, ein Damastweber, und meine Mutter hieß Maria, geborene Passelten. Beide lutherischer Religion.
In meinem sechsten Jahre erfihr ich eine besondere Bewahrung meines Lebens, wurde von einem wilden Pferde umgeschmissen und sehr beschädigt aber doch wieder geheilt. Ich hatte große Lust zum Lernen und ob ich gleich in meinem elften Jahre die Schule verlassen mußte um meines Vaters Profession zu erlernen so wendete ich doch alle Nebenstunden – auch des nachts – dazu an, mathematische, historische und geographische Bücher zu lesen. Ein frommer Webergesell hatte dieselbe Neigung und wann die Gelegenheit, daß ich auch mich entschloß, fromm zu werden. Er starb aber nach einiger Zeit an einer epidemischen Krankheit im Vertrauen zu der Liebe Gottes in Jesu Christu, welches mir einen tiefen Eindruck gab.
Bei meiner Konfirmation zum heiligen Abendmahl in meinem vierzehnten Jahre kam ich mit einem meiner Kameraden auf den Entschluß, daß wir auch so leben wollten, wie es in den gewöhnlichen Fragen und Antworten, die wir auswendig lernen mußten, von uns gefordert würde. Es wurde aber nichts daraus. Denn bald darauf verließ ich meine Profession und kam in eine Gesellschaft Komödianten. Mit denen zog ich herum wurde aber doch nach und nach bedenklich und kehrte wieder zu meiner Profession bei meinem Vater. So nahe wir bei Herrnhuth wohnten, so hatte ich doch wenig Kenntnis von dem Orte. Bis ich für eine Frau, die für uns arbeitete, hörte, daß da Leute wohnten, die auch so lebten, wie sie lehrten. Dieses machte mich neugierig und ich ging den nächsten Tag dahin. Alles gefiel mir wohl. Auch hörte ich den Herrn Grafen eine Rede halten, die mir wohl gefiel. Das war im Jahr 1735.
Nach einigen Jahren reiste ich mit meinem Vater nach Berlin und Hamburg. In Altona lernte ich eine Schwedensfrau kennen, deren Vater aus meinem Orte gebürtig war, die mich fragte, ob ich denn auch in Herrnhuth gewesen. Und da ich ihr erzählte, was ich da gesehen und grhört, war sie ganz erstaunt, daß ich alles das so nahe gehabt und doch wieder weggehen können. Sie habe nichts als das Herrnhuther Gesangbuch, welches ihr großes Labsal sei. “Oh – das muß nur … “, fuhr sie fort, “etwas in seinen Kopf, aber nichts ins Herz gekommen sein.” Dies drung so tief in mich, daß ich ihr gern gestand, daß es wahr sein. Mein Vetter kehrte darauf nach Hause und ich blieb in Berlin und arbeitete.
Von dieser Zeit an – es war in den Jahren 1742 bis 1744 – ist unser seliger Bruder viel herumgereist in der Mark Brandenburg und Polen und arbeitete verschiedentlich, teils auf seiner Profession, teils als Schulmeister und Informator bei Kindern.
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Auf diesen Reisen wurde er mit manchen rechtschaffenen Predigern und verschiedenen erweckten Leuten bekannt, die er liebte und von ihnen geliebt wurde, erfuhr auch manche besondere Proben der göttlichen Vorsorge wenn er in äußerliche Not kam, darin er oft dadurch geriet, daß er seinen Verdienst anderen Notleidenden mitteilte. Auch bemerkte er die Hand Gottes, die ihn zurückhielt, durch gutgemeinte Verheiratung sich notzusetzen. Er wurde in Landsberg in Sonderheit mit dem seligen Bruder Phipak, der (den er?) daherum besuchte, genau bekannt, mit dem er 1744 nach Stettin reiste. Hier wurde er am 20. Juni dieses Jahres aufgenommen in die Brüdergemeine daselbst, begab sich dahin zu wohnen und kam daselbst in die Handlung eines Schiffers namens Schmidt und gelangte im Oktober desselben Jahres mit dasigem Häuflein zum Genuß des Heiligen Abendmahls und der sich hielt zum Genuß desselben ersten gemeinen Abendmahls, welches daselbst von Bruder Werwink gehalten wurde.
Er selbst schreibt davon:
Es war eine große Gnade und ich war sehr vergnügt. Ich kannte aber mein Verderben noch nicht und noch weniger hatte ich einen Verstand von der Gemeine. Ich geriet darauf mit einer Person – zu dasiger Gemeine gehörig – in Bekanntschaft, die uns zum Schaden gerichte und mußte einmal vom Abendmahl bleiben. Während demselben überdachte ich unter vielen Tränen mein Versprechen, das ich dem Heiland bei meiner Aufnahme und nachher getan, bat ihn über meine Abweichungen um Vergebung und wurde getröstet, hatte auch das nächste Mal die Gnade, wieder mit zum Abendmahl zu gehen. Ich kam hierauf auf Anraten der Brüder als Informator der Kinder eines Freundes der Brüder nach Kamsin und auf erhaltene Nachricht, daß ein Bruder aus Herrnhag in Berlin sei zu Besuch, und von da nach dem Hag reisen wollte, resolvierte ich mich dahin, um mit ihm zur Gemeine zu gehen. Ich fand den Bruder David Nitschmann, Sindikus, zur Visitation in Berlin, der mir riet, mit Bruder Linde nach dem Herrnhag zu gehen. Wir kamen daselbst den 18. April 1745 am Ostermorgen an und hörte eine mir sehr eindrückliche Rede von Bruder Johannes. Ob ich gleich in Stettin mit zum Abendmahl gegangen, kam ich hier in die Klasse der Abendmahlskandidaten. Ich hatte viel vom Heiland erfahren. Es fehlte mir aber noch an der wahren Selbsterkenntnis. Und die übrigen in dieser Klasse waren auch von der Art. Und alle Sonntage wurden wir von Bruder Johannes über das Sündesein angeredet, welches ich nicht nur nicht verstand, sondern worüber ich auch verdrießlich wurde.
Es wurde uns wohl auch geraten, uns an anderen Orten nach Arbeit umzutun und von hier uns wegzubegeben. Ich glaubte nicht, daß das der Heiland mit mir zulassen würde, sondern hoffte, wenn das mir sollte angekündigt werden, ich doch Gelegenheit haben würde, mit einem Arbeiter vorher gründlich auszureden.
An einem Abend, da ich – sehr müde von meiner Arbeit – nicht in die Versammlung ging – war ich sehr verlegen über mich und wiederholte beim Zubettegehen den Vers sehr ofte: Wahr ist es, übel steht der Schade, den niemand heilet außer Du
Ach aber, Gnade, Gnade, Gnade… usw.
Und in Sonderheit diese letzten Worte mit unzähligen Tränen. Da kam mir vor, als ob jemand in einem weißen Talar vor mir stünde, mir herzlich zuredete, und mich versicherte, daß ich beim Heiland in Gnaden sei. Und mein ganzes Leben nicht von der Gemeine
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wegkommen würde. Anstatt verlegene Tränen, die ich dem ersten Teil der Nacht vergossen, flossen nun häufiger Dank- und Freudentränen und ich ging am Morgen froh an meine Arbeit. Gegen zehn Uhr wurde ich gerufen, zu Bruder Johannes zu kommen. Die anderen sagten, ich würde wohl fortgeschickt werden. Ich aber dachte, das kann nicht möglich sein, und war getrost.
Ich fand noch mehrere Brüder bestellt und Bruder Johannes sagte uns, daß wir beim nächsten Abendmahl Mitgenossen sein sollten. Ich war aber dieser unerwarteten Nachricht vor Dank ganz hingenommen.
Bald darauf sprach der selige Christel die ledigen Brüder, mit dem ich aufrichtig über meinen ganzen Gang ausredete. Er redete so herzlich und zupassend mit mir, daß ich von der Zeit an ein ganz besonderes Zutrauen und Liebe zu ihm bekam.
Im Jahr 1748 trug mir derselbe einen Ruf nach Pensylvanien an, der mich anfänglich viel kostete, ihn anzunehmen und nicht nach meiner Neigung war. Weil ich ihn aber sehr lieb hatte, willigte ich ein.
Im Oktober desselben Jahres reiste ich mit einer großen Gesellschaft ledigen Brüder von Herrnhag nach Zeist, wo wir sechs Wochen blieben und eine ganz besondere Pflege des seligen Jüngers genossen. Nach einer vierwöchigen Reise kamen wir nach London, wo wir ebenfalls sieben bis acht Wochen lang von seligen Jüngern und anderen Arbeitern in einer besonderen Zubereitung genommen wurden. Den 12. Mai 1749 kamen wir unter Geschwister Johannes Nitschmanns Anführung in New York an, von wo wir in drei Kolonnen nach Bethlehem abreisten. Die meinige unter Bruder Wilhelm Edmonds Begleitung traf den 21. Mai da ein.
Am 10. Juli desselben Jahres wurde ich mit meiner lieben Frau, damaligen ledigen Schwester Maria Elisabeth Opitzin zur heiligen Ehe verlobt und am fünfzehnten desselben Monats mit noch 27 Paaren getraut. Da meine die Damastweberprofession hier nicht ging, arbeitete ich auf der Leinweberprofession. Im Jahre 1757 beim Sinodo in Nazareth wurde mir und meiner Frau angetragen, Geschwister Neißers in Warwick im Schulhalten und Besuchen zu assisitieren, welches ich mit Ehrerbietung annahm. Wir waren ein Jahr daselbst, und auch eine zeitlang in Donnegaulle (?). Anno 1758 kamen wir nach Allemengel, wo wir fünf Jahre waren. Bei einem Besuch in Bethlehem wurden wir beide zur Apolutie angenommen. Anno 1732, den neunten Juni, wurde ich zu einem Diacronus der Brüderkirche ordiniert und bediente den Plan im Emäus (?) anderthalb Jahre und den in Olie (?) bis 1770 da die Gemeine daselbst auseinanderging.
Wir kamen dann ganz nach Bethlehem zum wohnen. Ich fing die Weberei an, wobei ich mein notdürftiges Durchkommen fand. Bis ich wegen schmerzhafter Brustbeschwerden und Blutspeien das Weben aufgeben mußte. Hierauf wurde ich zuweilen zur Assistenz im store und bei anderen Geschäften gebraucht und übernahm zuletzt die Nachtwache in Bethlehem, welche ich acht Jahre besorgt und dabei in Sonderheit in den schweren Kriegsjahren manche außerordentliche Bewahrung vom Heiland erfahren habe, die ich nicht vergessen werde.
Soweit er selbst.
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Er bezeugte oft, daß er in seiner Wache des nachts selige Stunden habe und dieselbe im Umgang und Gebet mit dem Heiland für seine Geschwister verbringe. Vor einigen Jahren mußte ihm dieses Geschäft, welches ihm wichtig war, seiner Schwachheit und seines Alters wegen abgenommen werden. Er verbrachte seine Ruhezeit in exemplarischer Stille und Gelassenheit und hielt sich unter allen Umständen an den, der ihn in seinem Leben durchgeholfen und dessen Gnade er erfahren hatte. Sein Wort war in und außer den Gemeinenversammlungen seines Herzens Weide und ging ihm über alle anderen menschlicher Bücher, die er doch auch las.
Seit einem Jahre fingen seine Kräfte an, merklich abzunehmen. Er bekam eine der schmerzhaftesten Arten der Auszehrung, dabei sein Kopf und Gemüt zwar heiter und er sich immer gegenwärtig war. Die übrigen Teile des Leibes aber ganz gelähmt und voller inneren Schmerzen waren. Die außerordentliche Geduld und Gelassenheit, die ihm der Heiland dabei verlieh, waren ihm und allen, die um ihn waren, tröstlich. Seine liebe Frau tat viel an ihm und pflegte ihn so gut sie wußte und konnte. Auch bewiesen verschiedene Brüder viel Liebe und Treue an ihm. In dieser Zeit redete er oft mit vieler Gegenwärtigkeit seines Gemüts über sein Herz und seinen ganzen Gang mit seinen Arbeitern aus, wie er mit dem Heiland über sich und alles verstanden sei und als ein armer Sünder um seines Blutes willen aus puren Gnaden sehr verlange, zu ihm zu kommen, aber große Schmerzen fühlen müsse. Allem Anschien hätte seine Krankheit noch länger dauern können. Der Heiland aber erhörte sein Verlangen und die Fürbitte seiner Geschwister und erleichterte ihm durch den Genuß seines Friedens sein Elend. Am 18. Mai schien es, als ob seine Erlösung herannahe. Vormittags sagte er, er wisse noch nicht, ob sie so nahe sei, es könne wohl noch etwas lange währen. [1] Aber nachmittag wünschte er den Segen zu seiner Heimfahrt zu erhalten. Es wurde ihm dann unter einem unbeschreiblich seligen Gefühl der Gegenwart Jesu unter Handauflegung der Segen dazu aus Jesu verdienstlichem Tode erbeten im Namen der Gemeine und seines Chores, worauf er sagte, er habe alles gut verstanden und sei nun getröstet. Sein Otem wurde darauf immer schwächer und in der Nacht darauf gegen drei Uhr verschied er sanft und selig. Die Losung hieß:
Ach Herr, ich weiß, daß Du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Gute bist.
Sein Alter hat er gebracht auf 75 Jahr und zehn Tage.
[1]Nicht ganz klar: Er wurde an die Tageslosung erquickt, es ihm tröstlich war: Ihr sollt erfahren, daß ich der Herr bin. Ich rede es und tue es auch. Was er ihm vorgenommen und was er haben will, das muß doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel.