Maria Elisabeth Reitzenbach (1738-1809)

Lebenslauf der verwitweten Schw: Maria

Elisabth Reitzenbach geb: Spohn.

Sie hat folgendes selbst von sich aufgeschrieben:

Ich bin am 19tn Nov: 1738 zu Lauffen im

Würtenbergischen geboren, und in der Luthe-

rischen Kirche getauft, u. auch in derselben Religion

von meinen l. Eltern Joh: Matthaeus u. Lucia Spohns

erzogen worden.  Bey der großen Erweckung im Wür-

tenbergischener Lande wurden meine Eltern auch

kräftig angefaßt.  Zu der Zeit kamen verschie-

dene der Soldaten brüder in unsern Ort, u. brachten

Gemeinschriften mit, die Abends in der Stille in

manchen Häußern zu vieler Erbauung gelesen

wurden.  Da versammleten sich dann kleine Geselschaften,

die sich von ihrem Herzens-Zustand miteinander be-

sprachen; u. worauf ein großer Seegen ruhte darauf.

Meine Mutter hielt mich sehr eingezogen, u. ließ

mich nicht mit andern Kindern in Gesellschaft gehen,

welches mich sehr mißvergnügt machte.  Und

 

/// Und wenn ich sie Tag vor Tag kniend beten hörte:

“Ach lieber Heiland!  gib mir doch ein ander Herz!  Ach

“erbarme Dich meiner u. ändre meinen Sinn u. dergl:

so seufzte ich:  Ach daß doch der l. Gott dies ihr Gebet

nicht erhörte! denn wenn sie beßer werden soll, als sie ist

was wird da aus mir werden?  Endlich wurde ich selber so

unruhig, daß ich mir keinen Rath wußte: Und da ich

7 Jahr alt war, u. nun in die Schule ging, wo ich von den

andern Schülern manchen Spott wegen der Frömmigikeit meiner

Eltern zu hören hatte, trieb mich solches zum Hld:, dem

ich auch diese Noth kindlich klagte.  Da einmal der

Prediger diesen Text zu seiner Predigt nahm: “Wenn ich

nur Seines Kleides Saum anrühren könnte, so würde ich

gesund.” ward derselbe Wunsch so rege in meinem Herzen

daß, nachdem ich nach Hauße gekommen, ich in den Baum-

garten eilte, mich da aufs Gras auf mein Angesicht

warf, u. den l. Hld: mit vielen Thränen um diese

Gnade bat, – u. ich stund — meines Antheils an Ihm tröst-

lich versichert, beschämt u. hoch erfreut vom Grase wieder auf.

Zu der Zeit kam der sel.: Br: Michael Graf (der in der Stadt

heimgegangen) von der Gem: auf einen Besuch zu uns,

 

/// und Logirte in meiner Eltern Hauße.  Bey seinem Da-

seyn ging mein Großvater (der Schulze im Dorfe war)

recht selig aus der Zeit, (wozu ihn Br. Graf einsegnete)

Mir sagte letzterer viel von den Kinder-anstalten in

der Gem:, u. wie selig u. vergnügt die Kinder in den-

selben wären; so daß nun ein großes Verlangen

in mir entstund, auch in die Gem: u. in eine solche Kinder-

anstalt zu kommen.  Meine gute Mutter nahm sich

denn nun meiner, in Ansehung meines Herzensganges,

aufs treulichste an; u. da sie u. mein Vater auf

dem Herrnhag ( die Gem: besucht hatten (wo selbst meine

Mutter eine Schw: hatte), waren sie Willens mich dort

in die Anstallt zu bringen, wozu sie auch Erlaubniß

hatten von der Gem: erhielten.  Weil aber zu der Zeit,

da sie dieses bewerckstelligen{,} wollten u. sie selbst auch zur

Gem: ziehen wolten, die Geschw: den Herrnhaag ver-

laßen mußten, so wurde nichts daraus; u. meine Eltern

erhielten nebst andern vom sel: Br: Johannes v: Watteville

ein Empfehlungsschreiben in die Gem: in Bethlehem

zu welcher zu ziehen wir nun Erlaubniß erhielten.

 

///  Meine Eltern verkauften ihr sehr schönes Gut mit

großem Verlust, u. begaben sich vergnügt u. froh

auf die Reise nach America.  Sie, mein Br: Joh: Martin

(der in seinem 12t Jahr in der Anstalt zu Bethlehem

recht vergnügt u. selig heimging) meine jüngere Schw:

Anna Maria, Rud: Christs u. deren Kinder, Christ:

u. Ludwig Stolzes, kammen im Sept: Ano 1751 zu

Phild: an, woselbst meine Mutter lange Zeit krank

gelegen, lag u. dadurch/ aufgehalten wurde:, bis wir im Jan: 1752 danckbar u. froh in unsrem

l. Bethlehem Anlangten.  Hier kam ich zu den Kindern

in die Anstallt, hatte aber eine wahre Schule durchzu-

stehen; denn ich war sehr fromm erzogen; u. nahm daher

an diesem u. jenem Anstoß; so daß ich das Vergnügen

welches ich erwartet hatte im Anfang hier nicht fand.  Dieses

denn trieb mich denn zum l. Hld:  Allein nach u. nach ließ ich

auch von meinem gesetzlichen Wesen ab, u. krigte Gefal-

len an Leichtsinn u. dergleichen Dingen, so, daß ich wohl

einsehen lernte, daß ich nicht beßer als andre sey.

Im folgenden Jahr ward ich ins Chor der größern

Mädchen aufgenommen; mit

 

/// der Bitte meines Herzens zum l. Hld:, daß ich in dem

Chor doch ganz Seine Freude werden möchte!  Und

Nun aber kam ich in eine neue recht gründliche Schule,

in welcher mir der treue Hld: mein grundverdorbenes

Herz recht zu sehn u. zu erkennen gab–Ich verlangte

sehr nach der Aufnahme in die Gem: dachte aber

immer dabey:  Es hilft mir Alles nichts, l. Heiland

wenn du mir nicht nahe trittst:  Doch, zu meiner uner-

warteten Freude, wurde ich im Jahr 1755 in die Gem:

aufgenommen.  Nach dem Hl: Abendmahl war ich nicht

so verlangend, weil ich dachte, ich wäre zu schlecht

zum Genuß deßelben, u. beym dran dencken, ward

mir sehr angst u. bange; u. ich hatte manchen Kummer des-

wegen.  Doch hatte ich die große Gnade, am 13t Aug:

1756 erstmalige Mitgenoßin deßelben des h. Amhls zu werden,

wobey mir Furcht u. Angst und Alles dergleichen wegfiel; u. so lebte

ich als ein recht seliges u. vergnügtes Mädchen, u. wurde

in demselben Jahr zur Gehülfin in der Vorgesetztenschaft

bey Mädchen von meinem Alter angestellt.  O wie klein,

wie tief beschämt machte mich dieses vor dem l. Heiland.

 

///  Am 4t May des folgenden Jahrs ward ich ins Jungfern-

Chor aufgenommen.  Nun dachte ich, will ich recht selig u.

vergnügt seyn!  u. kaum war ich so wie ganz in meinem

Elemennt, als mir der Antrag geschahe, als Schulhälterin

in der kleineren Mädchen nach Naz: zu ziehen; woselbst

ich 2 Jahr verbrachte, u. mit noch zwey led. Schw: von

Zeit zu Zeit unser l. Chor in Bethlm besuchten.  Ich blieb

in dem diesem Dienste bey Kindern u. größern Mädchen 15 Jahre-

lang, bis die Anstallt kleiner wurde, u. mehrere der Kin-

der zu ihren Eltern zogen; bey welcher Gelegenheit ich

mir ausbat, in mein l. Chorhaus zu ziehen zu dürfen, wo ich recht

selig u. vergnügt meine Tage verbrachte, bis mir in

Jun: 1779 während der Visitation des Br: Joh: Friedrich

Reichel die Heirath mit de meinen nun sel: Mann, dem

Br: Philip Jacob Reitzenbach angetragen wurde.

Ich muß gestehen, dasß es mir unbeschreiblich schwer ward,

diesen Schritt zu thun, u. mein l. led. Schwestern Chor zu

verlaßen; allein der Gedancke, daß ich dem l. Heiland

der mir meine Sünden vergeben, u. mich zu Gnaden ange-

nommen hatte, Alles zu Liebe zu thun, schuldig bin, machte daß

 

/// daß ich mich drin ergab.  Wir wurden am 21t Jun:

vom Br: Reichel getraut, wir und zogen bald darauf

nach Heidelberg wo zur Bedienung des dortigen

Gemeinleins, allwo unser treuer Heiland während der

Kriegszeit u. in großer Armuth sechs t halb Jahre

lang uns gnädigst beygestanden u. durchgeholfen hat.

Wir hatten bey unserm Anfang von Innen u. Außen nichts

als Armuth u. Schwachheit aufzuweisen: Er aber bewieß,

daß Er der Armen u. Schwachen Helfer u. Tröster ist.

Bey einem außerordentlich tiefen Sche Schnee  hatte mein Mann

das Unglück u. weil seinen Arm zu zerbrechen u. weil

keine Hülfe Arzt in der Nähe war, so konnte derselbe nicht recht eingerichtet besorgt

werden; u. erst nach einem Vierteljahr ward er durch die Besorgung

des Br: Adolph Meyers zu Litiz geheilt.  Unsre Geschw:

in Heidelberg, die wir (so wie sie uns) herzlich liebten, thaten

indeßen alles was sie konnten uns ihr mitleidiges Theilnehmen zu bezeigen.

Während der Visitation des sel: Br: Johannes kamen wir von

Heidelberg nach Bethel an der Swatara, welches Gemeinlein

seit des Br: Tills Heimgang ohne Arbeiter gewesen war.

Hier fanden wir im Anfang manches Schwere, hielten uns aber


/// kindlich und gläubig an unsern treuen Heiland, der uns

auch balde die Freude geschenkte machte, zu sehen daß es unsern

Geschw: recht nach unserm Wunsche ging.  Hier blieben wir

auch über 6 Jahre u. hatten eine große Schule, welches

meinem sel: Mann ganz nach seinem Sinn war{;}  Denn mit der

Jugend umzugehn, u. sie im Guten zu unterrichten, war für

ihn eine Angenehme Beschäftigung.

Von Bethel kammen wir nach Hebron, wo wir anderthalb

Jahre (ich in fast anhaltender Kräncklichkeit) blieben; bis wir

durch Geschw: Gottfried Peters abgelöst wurden; (u. wir wieder

nach Heidelberg kamen, dort eine kurze Zeit blieben, u.

dann auf eine kurze Erholungszeit weile zur Erholung nach Bethlehem kamen; wo

wir nach einem Jahr den Ruf zur Bedienung des Gemeinleins

in Shoenek kamen erhielten.  Hier fand mein Mann wieder was er

wünschte, nemlich eine große Schule.  Wir blieben Drittehalb Jahr in

Schöneck, <wo> bis wir durch Geschw: Schaafs abgelöst wurden,

u. wir im Dec: wieder nach Bethlehem zogen, wo wir den Winter

hindurch ruhig verbrachten, bis uns im Merz des folgen-

den Jahres das Amt der Gehülfenschaft im Ehe-Chor

angetragen wurde, in welchem Geschäfte wir über Zwey Jahr

 

/// dienten, bis wir Ao 1798 – zum Ausruhen nach –

Nazareth zogen u. da verblieben bis ich Ao 1802 d 22t Sept

durch den Heimruf meines l. Mannes in den Wittwen-

stand versetzt worden bin wurde, nachdem wir 22 Jahr vergnügt

und zufrieden in der Ehe gelebt, u. Freude u, Leid mit-

einander getheilt, u. einander zum Trost u. Aufmunterung gewesen

waren; dahero ich seinen Verlust sehr schmerzlich empfand, u.

Niemand als der Freund, dem ich so oft immer alle meine Noth klagte

konnte u. zu dem allein ich meine Zuflucht nahm, konnte mich drüber

trösten.  In demselben Jahr zog ich wieder nach Bethlehem

u. wohne nun hier bey meinem l. Schwager u. Schw:, Geschw:

Hornigs: denen ich ganz besonders für die mir bewießne

Wohlthaten; u. die Liebe u. Freundschaft, welche ich bey

ihnen genoßen; des Heilands reichen Seegen wünsche.

Zum Schluß dieses Schreibens Aufsazes muß ich noch dieses hin-

zuthun:, Daß ich mich wenn So oft ich meinen Dienst vor den Hl:

überlege; ich so erinnere ich mich mit Dankvollem Herzen

an seinen gnädigen Beystand u. an Seine Treue Durchhülfe in allen schweren

Umständen, u. dencke auch beschämt u. tiefgebeugt zurücke, an die unverdiente

Liebe u. Zutrauen welcher ich mich von den Geschwistern in den verschiednen

 

/// Land-Gemeinen mich zu erfreuen hatte; denn diese Zeit rechne

ich unter die Vergnügtesten meines lebens; der Hld: gab mir

auch Gnade, daß ich die Geschws. ebenfalls wieder von Herzen

lieben konnte; so daß es mir jedesmal Wehe that, die Gem:,

in der ich diente, zu verlaßen.

So weit die sel: Schwester selbst:

Sie durchlebte ihre Witwen-Zeit hier recht vergnügt

u. hielt sich feste an das Trostwort des Heilands:

“Ich will der Witwen ihr Versorger u. Vater seyn .”

Denn sie hat es als Wahrheit in ihrer Kränklichkeit u.

andern betrübten Vorkommenheiten ihres lebens tröstlich er-

fahren.  Lezten Winter nahmen ihre Kräfte mercklich ab,

u. sie litte viel an Brustbeschwerden, doch trug sie alles

mit Geduld, weil es ihr die schöne Hoffnung gab, balde bey ih-

rem besten Freunde zu seyn.  Weil sie die Versammlungen

nicht mehr besuchen konnte, so freute sie sich über jeden Be-

such ihrer Chorgespielen u. anderer Freunden, u. es war diente ihr

besonders zur Aufmunterung, wenn sie ihn die Abhandlungen

in denselben wiederholten; denn sie war eine treue Theilnehmerin

an allem, Begebenheiten was der Heiland an der Gem: zum Dienst dieSelbe unter Christen u. Heiden that

unter solchen Beschäftigungen ihres Gemüths vergeingen unver-

muthet geschwind ihre Krancken Tage:  aAm 16ten in der

 

/// Nacht traf sie ein Nerven Schlag, und am Morgen

sahe man deutlich, daß sich ihre Vollendung nahte;

Sie freute sich sehr über die Güte ihres Heilandes, daß

Er ihrem leiden so unerwartet Geschwind ein Ende machte.

Zu einer guten Freundin sagte sie zum Morgen Gruß:

“Jesus nimmt die Sünder an, Sag doch dieses Trostwort

allen! usw.  daßs war auch das lezte, daß sie vernehmlich sagen

konnte, sie wurde immer schwächer; um 12. Uhr empfing sie

den Seegen der Gem: u. ihres Chors, wobey der Friede

Gottes deutlich zu fühlen war; sie verstund noch alles u.

antwortete auf befragen: ob sie jezt zum Hld: gehen würde?

Ja! sie wurde immer schwächer lag nun wie im Schlummer, bis

um 3 Uhr nachm: ihre Erlöste Seele in die Arme ihres Erlösers

überging.  Sie hat ihre Wallfahrts=Tage gebracht auf

71 Jahr 6 Monat weniger 2 Tage.

 

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